Kapitel 7

CoastFIRE, BaristaFIRE & Co.

Description

Zwischenlösung oder Wunschmodell?

Einleitung – Wenn „ganz oder gar nicht“ nicht passt

FIRE wird oft als Entweder-oder dargestellt: Entweder man arbeitet ganz normal weiter – oder man hört komplett auf. Doch je mehr wir uns mit diesem Thema beschäftigen, desto mehr merken wir: Es gibt Zwischenwege, die genauso spannend sind. Und vielleicht sogar besser zu manchen Lebensphasen passen.

Wir selbst sehen Modelle wie BaristaFIRE oder CoastFIRE aktuell nicht als Ersatz für FIRE. Aber sie wirken auf uns wie realistische Meilensteine, denen man sich schrittweise nähern kann. Vielleicht sind sie keine endgültige Entscheidung, sondern einfach ein nächster sinnvoller Schritt: erstmal schauen, wie weit wir kommen. Und wenn wir eines dieser Zwischenziele erreichen, dann ist das vielleicht schon genug – oder zumindest ein guter Moment, um innezuhalten.

Ein kurzer Rückblick – Wo wir stehen

In Welcher FIRE-Typ passt zu dir? Teil 1 und FIRE auf deine Art - Teil 2 haben wir die verschiedenen FIRE-Typen bereits ausführlich vorgestellt – mit Definitionen, Rechenbeispielen und möglichen Lebensmodellen. CoastFIRE, BaristaFIRE, Lean oder Fat – sie alle zeigen, wie vielfältig FIRE sein kann.

In diesem Kapitel möchten wir nicht wiederholen, was diese Begriffe bedeuten. Stattdessen geht es um die Frage, wie sich solche Etappenmodelle anfühlen können, wenn man sich – wie wir – als Familie auf den Weg gemacht hat. Könnte CoastFIRE für uns ein möglicher Zwischenschritt sein? Vielleicht. Vielleicht nicht. Vielleicht ist es einfach ein Etappenziel, das sich gut anfühlt, wenn man es erreicht. Und manchmal reicht das ja schon, um weitergehen zu wollen – oder auch nicht.

Zwischenziel mit Potenzial?

Inzwischen denken wir anders über diese Modelle. Nicht, weil wir unser Endziel verändert hätten – sondern weil wir gemerkt haben: Ein Weg mit mehreren Stationen kann sich leichter anfühlen als ein langer Marsch mit nur einem Ziel.

BaristaFIRE oder CoastFIRE sind für uns aktuell keine bewusste Endentscheidung, sondern Optionen, die den Druck rausnehmen. Vielleicht erreichen wir eines dieser Zwischenziele und stellen dann fest: So wie es jetzt ist, fühlt es sich gut an. Oder wir sagen: Das war wichtig – und jetzt gehen wir weiter.

Die Freiheit liegt darin, nicht entscheiden zu müssen, wie der ganze Weg aussieht. Sondern offen zu bleiben für das, was kommt.

Handlungsspielräume schaffen – unabhängig vom Modell

Manchmal merken wir im Alltag, dass sich etwas verändert – nicht unbedingt, weil wir ein konkretes Modell wie CoastFIRE verfolgen, sondern weil wir einfach mehr Spielräume empfinden.

Ein Beispiel aus unserem Leben: Als unsere Tochter in die Schule kam, war klar, dass das eine neue Phase wird. Mehr Betreuungsaufwand, ein anderer Familienrhythmus, neue emotionale Anforderungen. Und gleichzeitig spürte ich, dass ich selbst eine Pause brauchte. Nicht komplett – aber ein Innehalten.

Wir entschieden uns für Elternzeit – nicht, weil wir es mussten, sondern weil wir es konnten. Nicht, weil wir CoastFIRE erreicht hatten, sondern weil wir uns durch bewusste Finanzentscheidungen vorher einen gewissen Puffer geschaffen hatten.

Dieses Gefühl – ein Angebot nicht annehmen zu müssen, eine Pause machen zu dürfen, nicht sofort auf jedes Einkommen angewiesen zu sein – das war ein Moment echter Freiheit. Und das unabhängig davon, welches Modell wir verfolgen. Es war einfach der Effekt davon, dass wir überhaupt auf dem Weg sind.

Ein plausibles Szenario – durchgerechnet und durchdacht

Nehmen wir ein realistisches Beispiel, das gut zu vielen Familien passt – auch wenn es nicht unsere persönliche Geschichte ist:

Ein Paar mit einem Kind spart über mehrere Jahre hinweg 1.500 Euro monatlich und baut sich damit ein Kapital von etwa 100.000 Euro auf. Dieses Geld bleibt unangetastet und arbeitet weiter. In der Zwischenzeit entscheidet sich eine Person für eine Teilzeitstelle mit 50 % – zum Beispiel, um mehr Zeit mit dem Kind zu verbringen oder beruflich etwas Neues auszuprobieren.

Das Nettoeinkommen sinkt, aber das andere Gehalt deckt weiterhin die Fixkosten. Es wird vielleicht eine Zeit lang nicht weiter investiert – aber das angesparte Kapital wächst trotzdem weiter. Es wird nicht aufgebraucht, sondern geparkt, es coastet.

Dieses Szenario zeigt: Man muss nicht FIRE „erreicht haben“, um seine Freiheit zu spüren. Vielleicht ist man längst drin, wenn man spürt, dass man Dinge bewusst gestalten kann.

Die große Frage: Reicht das – und für was?

Natürlich stellt sich irgendwann die Frage: Ist das schon finanzielle Freiheit? Oder: Sind wir nur auf halbem Weg?

Unsere Antwort ist: Vielleicht ist es beides.
Vielleicht ist finanzielle Freiheit nicht der Punkt, an dem man nie wieder arbeitet – sondern der Moment, in dem man nicht mehr muss, sondern darf.
Nicht mehr gehetzt von der Monatsmitte zur Miete. Nicht mehr gefangen in „Augen zu und durch“.

Sondern in der Lage, zu sagen:
Wenn es heute nicht geht – geht es eben anders.
Wenn dieser Job nicht passt – finde ich einen anderen.
Wenn ich eine Pause brauche – dann plane ich sie ein.

Diese Form von Sicherheit hat für uns mit Beträgen zu tun, ja. Aber auch mit Haltung, Erfahrung und Vertrauen. Und vielleicht braucht es genau das, um zu sagen: Ja – das reicht. Fürs Erste. Für uns. Für jetzt.

Fazit: Wenn dein Weg nicht in der Tabelle steht

Vielleicht bist du wie wir. Du liest dich durch Definitionen, durch Beispiele, durch Tabellen – und denkst dir: Das passt irgendwie alles. Und irgendwie auch nichts.

Dann möchten wir dir sagen: Das ist völlig in Ordnung.
Denn FIRE ist kein Typentest, bei dem du ein Label bekommst. Es ist ein Weg. Ein Prozess. Und der darf sich verändern.

Vielleicht gehst du auf BaristaFIRE zu – und bleibst da. Vielleicht merkst du, dass du CoastFIRE erreicht hast – und trotzdem weiter willst. Vielleicht kombinierst du alles oder nimmst einen Umweg.

Was zählt, ist nicht, welches Modell du „lebst“.
Sondern, dass du bewusst unterwegs bist.
Dass du dich mit deinen Möglichkeiten beschäftigst.
Und dass du dir die Freiheit nimmst, selbst zu entscheiden, wann etwas genug ist – und wann nicht.

Wie geht’s weiter?

Im nächsten Kapitel schauen wir uns an, wie du mit Unsicherheiten im FIRE-Plan umgehen kannst – nicht nur mit Excel-Szenarien, sondern auch mit echten Lebensumbrüchen:
Was, wenn dein Partner plötzlich arbeitslos wird? Was, wenn die Pflege eines Angehörigen dich fordert? Und was, wenn einfach alles anders kommt als gedacht?

Hier gehts weiter: Wenn das Leben dazwischenkommt – Strategien für Plan B und Plan C