Kapitel 3

Die 4 %-Regel einfach erklärt

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Sparen allein reicht nicht – FIRE braucht mehr

Im vorherigen Artikel hast du erfahren, wie du deine persönliche FIRE-Zahl berechnest. Doch das wirft direkt die nächste Frage auf: Wie kommt man eigentlich auf diese Zahl? Und wie kann man sie realistisch planen?

Eine Antwort darauf liefert die bekannte 4 %-Regel. Sie ist einfach zu merken, weit verbreitet – und trotzdem nicht unumstritten. In diesem Artikel erfährst du, wie sie funktioniert, was sie mit deiner FIRE-Zahl zu tun hat und warum sie in Deutschland mit Vorsicht zu genießen ist.

Was hinter der 4 %-Regel steckt

Die Idee ist schnell erklärt: Wenn du ein ausreichend großes Vermögen aufgebaut hast, kannst du jedes Jahr 4 % davon entnehmen, ohne dass dein Geld aufgebraucht wird. Das Vermögen bleibt langfristig stabil – selbst wenn du davon lebst.

Die Rechnung ist einfach:
Wenn du 1.000 € pro Monat brauchst, sind das 12.000 € im Jahr.
12.000 € geteilt durch 0,04 ergibt eine FIRE-Zahl von 300.000 €. Oder du drehst es um: Multipliziere deinen Jahresbedarf mit 25.
Denn 1 ÷ 0,04 = 25 – das ist der Rechenweg hinter der Regel.

Diese 4 % gelten als „sichere Entnahmerate“, basierend auf historischen Daten. Doch wie das bei Faustregeln so ist: Sie haben Grenzen. Und vor allem in Deutschland sollte man genauer hinschauen.

Zwei Beispiele für deine FIRE-Zahl

Stell dir vor, du möchtest mit 1.500 € im Monat auskommen. Das entspricht 18.000 € pro Jahr.
Nach der 4 %-Regel brauchst du dann ein Vermögen von:

18.000 € ÷ 0,04 = 450.000 €

Wenn du stattdessen einen Lebensstil mit 2.500 € monatlich planst, ergibt sich ein Jahresbedarf von 30.000 €.
Auch hier ist die Rechnung einfach:

30.000 € ÷ 0,04 = 750.000 €

Solche Beispielrechnungen helfen, ein erstes Gefühl für die Größenordnung zu bekommen. Aber sie sind noch nicht das Ende der Planung – denn es kommt ein Faktor dazu, der gern vergessen wird: die Steuer.

Was in Deutschland davon übrig bleibt

Die 4 %-Regel stammt aus den USA – einem Land mit anderen Steuerregeln. In Deutschland musst du auf Kapitalerträge, also auf realisierte Gewinne beim Verkauf von ETF-Anteilen, Abgeltungsteuer in Höhe von 25 % plus Solidaritätszuschlag zahlen. Das bedeutet: Die 4 % Entnahme sind Brutto.
Je nachdem, wie stark dein ETF gestiegen ist, bleiben dir davon netto vielleicht nur 3 bis 3,5 % übrig.

Beispiel:
Du brauchst netto 18.000 € im Jahr. Bei 4 % müsstest du 450.000 € haben – aber nach Steuern reicht das nicht.
Planst du dagegen mit einer realistischen Netto-Entnahmerate von 3,5 %, ergibt sich:

18.000 € ÷ 0,035 = ca. 515.000 €

Dieser Unterschied kann darüber entscheiden, ob dein Geld reicht oder nicht. Deshalb gilt: Berücksichtige die Steuern von Anfang an – oder plane dir einen Sicherheitspuffer ein.

Warum das Ganze überhaupt funktioniert

Hinter der 4 %-Regel steckt das Prinzip, dass dein Geld für dich arbeitet – langfristig investiert in Aktien und Anleihen. Historisch gesehen lagen die durchschnittlichen Bruttorenditen am Aktienmarkt bei rund 7 % jährlich. Wenn man davon Inflation und Kosten abzieht, bleibt genug Spielraum, um jährlich vier Prozent zu entnehmen.

Voraussetzung ist aber: Du bleibst über viele Jahre investiert. Die Regel geht davon aus, dass dein Vermögen mindestens 30 Jahre lang halten soll – oder sogar länger. Und dass du auch in Krisen nicht panisch verkaufst, sondern planvoll weiter entnimmst. Investieren mit System und Geduld – nicht mit Emotion.
Das ist das Fundament, auf dem die 4 %-Regel aufgebaut ist.

Wo die 4 %-Regel an ihre Grenzen stößt

So nützlich die 4 %-Regel ist – sie hat auch ihre Schwächen. Sie wurde unter US-Bedingungen entwickelt, mit amerikanischen Renten-, Steuer- und Gesundheitssystemen im Hintergrund. In Deutschland gelten andere Spielregeln. Zudem basiert sie auf der Vergangenheit. Aber niemand kann sicher vorhersagen, wie sich die Märkte in Zukunft entwickeln. Längere Krisenphasen, hohe Inflation oder persönliche Veränderungen können deine Planung ins Wanken bringen.

Ein weiteres Problem ist die starre Entnahmestrategie: Jahr für Jahr dieselbe Summe zu entnehmen, unabhängig von der Marktlage, funktioniert nur, wenn du sehr diszipliniert bist – und ein sehr robustes Depot hast. Deshalb setzen manche auf dynamischere Ansätze, bei denen sie in guten Jahren mehr und in schwachen Jahren weniger entnehmen. Auch das ist ein möglicher Weg – aber er erfordert mehr Planung und Flexibilität.

Warum sie trotzdem ein guter Start ist

Trotz aller Einschränkungen bleibt die 4 %-Regel ein hervorragender Einstieg – gerade für Menschen, die sich zum ersten Mal mit finanzieller Unabhängigkeit beschäftigen. Sie bietet eine einfache, greifbare Zahl – eine erste Orientierung, die Sicherheit und Motivation gibt.

Du musst kein Profi sein, um sie zu nutzen. Du brauchst nur deine monatlichen Ausgaben zu kennen – und etwas Zeit zum Rechnen. Schon hast du eine Idee davon, was du brauchst, um frei entscheiden zu können. Und wenn du später feststellst, dass eine andere Strategie besser zu dir passt, ist das kein Problem. Die 4 %-Regel ist nicht das Ziel – sie ist der Anfang eines selbstbestimmten Wegs.

Fazit: Eine Zahl, viele Möglichkeiten

Die 4 %-Regel ist keine perfekte Wissenschaft. Aber sie ist ein einfaches Werkzeug mit großer Wirkung. Sie hilft dir, dein finanzielles Ziel greifbar zu machen – nicht als abstrakte Idee, sondern als konkrete Summe.

Sie bringt dich in Bewegung. Sie gibt dir Richtung. Und sie macht Mut, loszugehen.

Im nächsten Artikel schauen wir uns genauer an, wo diese Regel eigentlich herkommt. Denn sie ist nicht vom Himmel gefallen, sondern stammt aus einer wissenschaftlichen Untersuchung: der Trinity-Studie. Wir werfen einen Blick auf die Ursprünge, die Annahmen – und was sie für deine eigene Planung bedeutet.

Hier geht’s weiter: Die Trinity-Studie